Polarisierter Elektrolytkondensator auch für
Wechselspannung und inverse Gleichspannung

 



Einleitung

Jeder Elektroniker weiss, ein Elektrolytkondensator (Elko) eignet sich nur für Gleichspannung (DC-Spannung) und nicht für Wechselspannung (AC-Spannung), ausser es ist ein spezieller bipolarer (nicht polarisierter) Elko, wie er z.B. in passiven Filterschaltungen in Lautsprecherboxen für die Signaltrennung von Hochton-, Mittelton- und Basslautsprechern zum Einsatz kommt. Diese Elkos sind spannungssymmetrisch, d.h. sie können in den beiden Polarten mit der selben DC-Maximalspannung und somit auch mit einer AC-Spannung betrieben werden, wobei hier natürlich die frequenzabhängige Belastung zu berücksichtigen ist. Dies ist soweit allgemein bekannt. Dazu ein ELKO-Grundlagenartikel von Patrick Schnabel:

Wesentlich unbekannter ist eine ganz spezielle Art des Aluminium-Festkörper-Elektrolytkondensators (hier abgekürzt: Alu-Elko), der dauerhaft eine inverse DC-Spannung von 30 % der DC-Maximalspannung zulässt und sogar maximal eine AC-Spannung bis zu 80 % von der DC-Maximalspannung aushält. Diese Alu-Elkos sehen dem Tantal-Tropfen-Elko sehr ähnlich, wie das kleine Titelbild oben links zeigt. Seine elektrischen Eigenschaften sind allerdings sehr unterschiedlich! Ein gewöhnlicher Tantal-Tropfen-Elko verträgt nicht die geringste inverse DC-Spannung. Von AC-Spannung wollen wir schon gar nicht reden und es gefällt ihm auch nicht, wenn er zu niederohmig geladen oder entladen wird. Auch das quittiert er sehr gerne mit Kurzschluss. Ganz im Gegensatz dieser spezielle Alu-Elko, der locker ohne Seriewiderstand stossartiges Laden und Entladen zulässt und es gefällt ihm, wie schon oben erwähnt, von der Tradition des gewöhnlichen Elko drastisch abzuweichen. Betreffs Leckstrom hält er mit maximal wenigen Micro-Ampere mit andern modernen Alu-Elkos Schritt. In diesem Punkt schneidet der Tantal-Tropfen-Elko etwas besser ab und darum eignet sich der Tantal-Elko besonders für Timerschaltungen mit langen Impulszeiten, wie es z.B. im Elektronik-Minikurs Das MonoFlipflop gezeigt wird. Nebenbei sei an dieser Stelle erwähnt, dass Tantal ein seltender Rohstoff ist. Man sollte so sparsam wie möglich damit umgehen!

Diese speziellen Alu-Elkos werden von der Firma VISHAY hergestellt. Es ist die Serie 128-SAL-RPM (PDF-Datenblatt). Es gibt diese Alu-Elkos in den Kapazitätswerten von 0.1 µF bis 68 µF und DC-Maximalspannungswerten von 6.3 VDC bis 40 VDC. Die Kapazität hat eine Toleranz von typisch ± 20%. Für mehr Details konsultiere man das Datenblatt.

    WICHTIGE INFO:
    In der ersten Zeile des Datenblattes 128-SAL-RPM liest man, dass der Verkauf am 30.12.2015 eingestellt wird!

    Wenn das Obsolet-Datum überschritten ist und man erfährt erst dann von dieser Änderung, ist es wichtig, dass das Original-Datenblatt von VISHAY mit dem Obsolet-Hinweis weiterhin lesbar ist. Darum ist dieses lokal als pdf-File gespeichert. Wozu diese speziellen Alu-Elkos besonders nützlich sind, liest man hier und der Hinweis und Link hierher erfolgt in den Elektronik-Minikursen, wo dieser Vorteil zutrifft. Vorwiegend beim Einsatz von Instrumentationsverstärkern, aber nicht nur.

    Eine Alternative dazu wären hochkapazitive Keramik-Kondensatoren, die allerdings im erwünschten Kapazitätsbereich teuer sind und sie haben die negative Eigenschaft der Piezoempfindlichkeit, was besonders im Bereich von sehr kleinen AC-Spannungen (Signalspannungen: EMG, EKG, Audio, etc.) lästig ist.

    Alternativ bieten sich nicht-polarisierte Alu-Elkos an, die teilweise, je nach Fabrikat, mehr Platz benötigen. Dieser lokal gespeicherte pdf-Link zeigt den 10µF/16V-Typ von Multicomp bei Farnell MCNP16V106M5X11. Um die ganze Palette zu sehen, muss man die Farnellseite starten, im Suchfenster "Aluminiumelektrolytkondensator Baureihe NP" eingeben und starten. Mittels Filterung von Kapazität und Spannung kann man die Auswahl passend eingrenzen. Das alles funktioniert aktuell (September 2015). Falls dies später einmal nicht mehr zutrifft, muss man selbst aktiv werden und sich evtl. direkt an Multicomp wenden.

    Updates unwahrscheinlich: Eine Anpassung der Schaltungsbeschreibung und von Schemata hier und in den betreffenden andern Elektronik-Minikursen findet wegen hohem Aufwand wahrscheinlich nicht statt. Ich bitte um Verständnis und sich einfach zu merken, wenn von den speziellen Alu-Elkos von VISHAY (128-SAL-RPM) die Rede ist, dass man dies selbst durch geeignete nicht-polarisierte Alu-Elkos ersetzt.



Zwei Anwendungsbeispiele

Die elektrischen Eigenschaften dieses speziellen Alu-Elko machen ihn besonders für Verstärkeranwendungen im niederfrequenten Bereich interessant. Dies wäre z.B. der Audiobereich, sowie der Bereich der Elektromedizin, wie EMG, EKG, EEG. Wir kommen damit zu Bild 1 mit einer typischen Situation:

In Teilbild 1.1 sehen wir die bekannte nichtinvertierende Verstärkerschaltung für AC-Spannungen mit einem Opamp, wobei es in diesem Beispiel nötig ist Frequenzen oberhalb von 1 Hz zu verstärken. Deshalb enthält das verstärkungsbestimmende Gegenkopplungsnetzwerk aus R1, R2 und C1 auch die Funktion eines passiven Hochpassfilter (Hochpass = HP), dessen Grenzfrequenz sich aus R2 und C1 ergibt. Eine Verstärkung von 50 bringt es mit sich, dass R2 mit 2.2 k-Ohm relativ niederohmig ist, wenn man R1 - hier 100 k-Ohm - aus Gründen parasitärer Effekte nicht zu hochohmig realisieren möchte. Weil R2 relativ niederohmig ist, hat C1 eine relativ grosse Kapazität, wenn die HP-Grenzfrequenz mit 1 Hz niedrig sein soll. C1 beträgt 33 µF. Im Prinzip könnte man auf die HP-Filterwirkung verzichten und C1 weglassen, wenn dafür R2 anstelle mit GND mit der Referenzspannung (+Ub/2) verbunden wird. Will man allerdings einen preiswerten Feld-Wald-und-Wiesen-Opamp einsetzen - ich denke dabei an einen TL071 oder LF356 und nicht etwa an den Steinzeit-Opamp uA741 oder LM741 - muss man mit äquivalenten DC-Eingangsoffsetspannungen im Millivoltbereich rechnen. Mit der Verstärkung von 50 wird diese DC-Offsetspannung auf mehr als 50 mV, vielleich sogar einige 100 mV, verstärkt. Je nach Anwendung kann dies zulässig sein, ganz sicher aber nicht, wenn zwei Verstärkerstufen in Serie geschaltet werden müssen. Man kommt dann nicht drum herum, mittels passivem HP-Filter die DC-Offsetspannung herauszufiltern und dies gelingt mit R2 und C1. Dieses Verfahren reduziert die DC-Verstärkung auf 1. Dies ist eine übliche Methode.

Dieses Prinzip funktioniert sehr gut, wenn die Schaltung mit nur einer Betriebsspannung +Ub versorgt wird. Ue wird in der Regel mit der halben Betriebsspannung +Ub/2 referenziert und das bedeutet, dass über C1 die selbe DC-Spannung anliegt. Eine sehr niederfrequente AC-Spannung an Ue überlagert die DC-Spannung über C1 ebenfalls mit dieser AC-Spannung. Wesentlich oberhalb der HP-Grenzfrequenz, also z.B. bei 50 Hz, ist die AC-Spannung über C1 vernachlässigbar klein. Dies ist eine ideale Aufgabe für einen ganz gewöhnlichen Elko.

Wir kommen jetzt zu Teilbild 1.2 das sich von Teilbild 1.1 kaum unterscheidet. Die Schaltung wird zwar spannungssymmetrisch mit ±Ub gespiesen, dafür liegt aber C1 auf -Ub und nicht auf GND. Die Funktionalität bleibt also die selbe wie in Teilbild 1.1. Wirklich? Nicht ganz. Selbst dann wenn ±Ub gut stabilisiert und gefiltert ist, ist sie selbst trotzdem nie so störfrei wie der GND-Pegel. Das heisst also, dass geringste Störspannungen auf -Ub über C1 mit R1/R2 fast ebenso massiv verstärkt werden, wie die AC-Spannung an Ue welche hier mit GND referenziert ist.

So geht das also nicht und deswegen kommen wir zur Schaltung in Teilbild 1.3, die ebenso mit ±Ub betrieben wird, C1 jedoch an GND liegt. Das bedeutet, das C1 als Elko nicht, wie es sein sollte, mit einer richtig gepolten DC-Spannung vorgespannt wird. Wenn Ue GND-Potenzial hat, ist C1 spannungsfrei. Bei negativer DC-Spannung an Ue bekommt C1 die selbe DC-Spannung, jedoch falsch gepolt. Bei einer AC-Spannung an Ue mit sehr niedriger Frequenz, unterhalb der R2C1-Grenzfrequenz, liegt die selbe AC-Spannung an C1. Im Nutzfrequenzbereich, eindeutig oberhalb dieser Grenzfrequenz, gibt es über C1 keine nennenswerte AC-Spannung. Sie ist dann meist so vernachlässigbar klein, dass man auch einen gewöhnlichen Elko einsetzen könnte. Diese Lösung wäre jedoch nicht befriedigend, weil man diesen Idealfall meist nicht immer voraussetzen kann, wie z.B. dann, wenn Ue gerade nicht an eine Quelle angeschlossen, also nicht definiert ist. Dann kann, besonders bei einem extrem hochohmigen Opamp-Eingang (JFET, CMOS), die statische Spannung an Ue positiv oder negativ sein. Ist sie negativ, entsteht über C1 eine DC-Inversspannung die maximal dem Wert von -Ub entsprechen kann, wenn der Opamp ausgangsseitig rail-to-rail-fähig ist. Wenn nicht, ist die DC-Inversspannung etwas niedriger als -Ub.

Weil dem so ist, eignet sich der hier genannte spezielle Alu-Elko der Serie 128-SAL-RPM von VISHAY besser und bietet klar mehr Funktionssicherheit. Betreffs der Wahl von ±Ub muss man aber daran denken, dass dieser spezielle Alu-Elko, eine maximale Inversspannung aushalten muss, die der negativen Betriebsspannung -Ub entspricht. Praktisch bedeutet dies, dass für eine Betriebsspannung von z.B. ±5 VDC ein Alu-Elko mit einer Maximalspannung von 16 VDC zum Einsatz kommen muss, bei ±12 VDC sind es 40 VDC.

Eine ganz ähnliche Aufgabe hat dieser spezielle Alu-Elko in einer Anwendung mit einem Instrumentationsverstärker in Bild 2. Teilbild 2.1 zeigt das Blockschaltbild mit dem passiven HP-Filter aus R3 und C1.

Die Schaltung in Teilbild 2.2 zeigt eine EMG-Verstärkerschaltung. EMG bedeutet Elektro-Myographie. Die EMG-Spannung, gemessen an der Hautoberfläche, liegt im 10-µV-Bereich bis maximal wenigen 100 µV. Die differenzielle DC-Spannung, welche durch die elektrolytische Übergangsphase Elektrode/Haut entsteht, ist wesentlich höher. Sie liegt im 10-mV-Bereich. Würde diese quasistationäre DC-Spannung mitverstärkt, begrenzt die Verstärkerschaltung bei der maximal möglichen Ausgangsspannung, ohne dass sie auch nur etwas von der EMG-Spannung verstärken kann. Das passive HP-Filter, bestehend aus R3 und C1, löst dieses Problem. C1 ist dabei der spezielle Alu-Elko aus der Serie 128-SAL-RPM von VISHAY. Es gilt hier, dass +Ub nicht höher sein darf, als die maximal zulässige inverse DC-Spannung dieses speziellen Alu-Elko C1. Diese maximale DC-Inversspannung tritt an C1 dann auf, wenn die Eingänge Ue+ und/oder Ue- offen sind und deren zufälligen statischen Spannungswerte die maximale DC-Inversspannung an C1 erzeugen. Es kommen in Bild 2 LinCMOS-Opamps zum Einsatz, dessen maximale Ausgangsspannungen minimal 1 V unterhalb von +Ub bleiben. Mit einem speziellen Alu-Elko, dessen Maximalspannung 16 VDC beträgt, darf die Betriebsspannung +Ub = 6 VDC oder knapp etwas mehr betragen.

Die eingangsseitigen Dioden-Widerstandsnetzwerke aus R1, D1, D2 und R2, D3, D4 arbeiten als Überspannungsschutz vor zu hohen (statischen) Eingangsspannungen, z.B. beim Berühren der Elektroden. Mit dem Trimmpotmeter TP1 stellt man die maximale Gleichtaktunterdrückung CMRR ein. Weil die Schaltung nur mit einer Betriebsspannung +Ub arbeitet, muss eine Referenzspannung erzeugt werden. Dies erledigt die Schaltung um den Opamp IC:A1. Diese Spannung liegt etwas unterhalb +Ub/2. Damit wird erreicht, dass die verwendeten LinCMOS-Opamps bei Übersteuerung am Ausgang spannungssymmetrisch begrenzen. Anstelle einer quasidiskreten Schaltung kann auch ein intergrierter Instrumentationsverstärker verwendet werden. Dass dies hier nicht der Fall ist, hat damit zu tun, dass die Schaltung einem Ausbildungszweck dient. Weitere Details zur EMG-Messschaltung oder sonstige EMG-Anwendungen sind nicht Gegenstand dieses Elektronik-Minikurses! Wer mehr zu diesem interessanten Thema erfahren will, empfehle ich den Elektronik-Minikurs:



Thomas Schaerer, 28.02.2005 ; 28.01.2006 ; 08.02.2008 ; 01.04.2008 ; 14.06.2012 ; 24.02.2014 ; 25.06.2014 ; 08.08.2014 ; 01.10.2015