Simulieren und Experimentieren,
ein Vorwort von Jochen Zilg
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- Simulieren und Experimentieren, ein Vorwort von Jochen Zilg
- Autor: Thomas Schaerer Opamp-Buch Timer555-Buch
Es ist wichtig, dass junge Menschen in "spielerischer Erfahrung" ihre
Welt begreifen. Und ich meine "begreifen" wörtlich. Der Denkvorgang "was
wäre wenn" und die schnelle Antwort durch das Experiment führt zu dem,
was wir Fortschritt nennen. Die Simulation kann uns, wenn wir schon
einen Weg gefunden haben, helfen, die letzten Feinheiten
herauszuarbeiten. Die Erfindung als solche kommt sehr sehr selten aus
dem Computer.
Unser Weltbild entstand doch durch scharfes Beobachten, Erstellen
von Hypothesen, ergänzende Beobachtungen und Experimente. Wenn ein
Schüler einer philosophischen Schule im antiken Griechenland sich
Gedanken darüber machte, dass er irgendwann einmal den Stein nicht mehr
kleiner kriegt (Atom), dann ist das für mich nicht Physik sondern
Philosophie. Der Fortschritt kam erst durch die experimentelle Physik,
Chemie, Medizin etc...
Wie sollen die Modelle für die Simulationsprogramme entstehen? Wie
entsteht überhaupt ein Bedarf für ein solches Modell?
In den 33 Jahren meiner Tätigkeit als Ingenieur im Bereich der
Satellitenkommunikation und Radartechnik habe ich immer sowohl
simuliert als auch experimentiert.
Das Experiment führte immer zu dem schnelleren Ergebnis, und hatte den
Vorteil, dass nicht mit idealen, sondern realen Komponenten gearbeitet
wurde. Toleranzen, parasitäre Effekte etc. waren "schon drin". Nehmen
wir einmal ein Beispiel aus der Leistungselektronik in der
Hochfrequenztechnik. Die Transistormodelle sind in vielen Fällen erst
Jahre nach der Markteinführung von den Herstellern zu Verfügung gestellt
worden und hatten dann auch nur "informativen Charakter", also nicht wie
eine Spezifikation, die Basis für eine Garantie ist.
Ich kann nur dringend davor warnen, sich dauerhaft auf solche Modelle zu
verlassen. Begleitende Experimente sind unbedingt notwendig!
Ich habe da schon Kathastrophen gesehen, die mir unvergessen geblieben
sind. Zwei Jahre Arbeit sind in einem Beispiel wie ein Kartenhaus
zusammengebrochen.
In meinem Ingenieurbüro hatte ich einmal einen Auftrag für einen
komplexen Messempfänger im Mikrowellenbereich bekommen. Die
Spezifikation war über diverse Simulationstools zusammengestellt worden.
In fast allen Punkten war man bis an die physikalischen Grenzen
gegangen, oft weit über den Stand der Technik hinaus. Gleichzeitig gab
es offensichtliche Fehler im Konzept, die ein Funkamateur sofort erkannt
hätte (Rauschzahl). Hier hatte man den Boden unter den Füssen verloren.
Das Simulationstool war wohl nicht komplett (genutzt worden?). Der
"Feedback" aus der "real world" kam erst nach Jahren!
Also kurz und klein: Nicht Experiment oder Simulation sondern beides
und zwar gleichzeitig.
Jochen Zilg